Aachener Nachrichten

„Einblicke in die abgeschottete Welt des BND“

Der Fotograf Andreas Magdanz durfte exklusiv beim Auslandsnachrichtendienst in Pullach Bilder auf dem 68 Hektar großen Areal machen.

von Michael Klarmann

Aachener Nachrichten, 10.04.2006
Aachen. Andreas Magdanz will in seinen Bildern Klischees meiden. Der renommierte Fotograf sagt, er wolle genau das Gegenteil bewirken, Denkschablonen vermeiden helfen. Aber geht das, wenn das Motiv ein Geheimdienst ist? Der 43-Jährige hat auf dem Pullacher Gelände des Bundesnachrichtendienstes fotografiert. Exklusiv. Seine Bilder liefern erstmals Einblicke in die abgeschottete Welt des BND. Und vieles erinnert dann doch an klassische Thriller aus vergangenen Epochen.

Rund sechs Monate hat der Aachener nach langer Vorbereitungszeit und Sicherheitsüberprüfung von August 2005 bis Anfang dieses Jahres auf dem Areal in Pullach fotografiert. Erstmals erlaubte der Auslandsnachrichtendienst, dessen Mitarbeiter ihre Mobiltelefone mit Kamerafunktion am Einlass abgeben müssen, einem Außenstehenden so tiefe Einblicke. Vielleicht, weil dem BND in rund fünf Jahren ein Umzug nach Berlin bevorsteht und das Wort Geheimhaltung in Pullach aufweicht. „Eigentlich gibt es in der Zentrale auf dem Gelände niemanden, der durch die Abteilungen geht, weil es einfach dafür keinen Grund gibt,“ umschreibt Magdanz das Innenleben des BND. Selbst innerhalb des 68 Hektar großen Areals schotten sich also einzelne Referate ab, gibt es Geheimnisse innerhalb des Geheimdienstes. Das dient freilich auch zum Schutz vor Doppelagenten, jenem Super-Gau aus Zeiten des Kalten Krieges.

Rund 600 Fotos hat Magdanz in Pullach hinter und an den BND-Mauern gemacht. Ein Fünftel davon wird ab Mitte April in dem hochwertigen Fotobuch „BND-Standort Pullach“ (Verlagshaus DuMont) veröffentlicht. Es sind Stillleben mit den klassischen Motiven eines Geheimdienstes, aber – das war die Bedingung – ohne dessen Mitarbeiter im Bild. Zu sehen sind etwa Überwachungskameras, Gitter und herabgelassene Rollladen, Stacheldrahtzäune, Überwachungsmonitore und Uhren mit der aktuellen Uhrzeit aus vielen Teilen der Erde. Einige Baracken sind baufällig, manches erinnert an eine Kaserne. Unterirdische Bunker beherbergen eine „Raumschießanlage“. In einem Schutzraum trifft der Betrachter auf knallrote Schalensitze, die farblich mit dem grünen Bodenbelag nur korrespondieren, weil Modeerscheinungen der 1970er Jahre heute wieder modern sind. Auf manchen Außenbildern liegt Schnee – und natürlich sind die Straßen und Gehwege akkurat geräumt. Ordnung als oberstes Prinzip.

Auf den ersten Blick nicht dazu passen will das „Haus 37“, die frühere „Bormannvilla“, im Salon mit dem Ölbild des Preußenkönigs Alter Fritz geschmückt. Neben Teilen der noch von den Nationalsozialisten erbauten Bunkeranlagen ist jene Villa eines der sichtbarsten Zeichen, auf welchem geschichtsträchtigen Grund der BND seine Zentrale baute. In Nazideutschland stand hier die „Reichssiedlung Rudolf Hess“, erbaut für Mitarbeiter der NSDAP-Parteikanzlei. In besagter Villa lebte der Reichsleiter der NSDAP, Martin Bormann. Während des Zweiten Weltkriegs war auf dem Areal nahe München zudem das „Führerhauptquartier Siegfried“ untergebracht.

In der ehemaligen „Bormannvilla“, heute das „Präsidentenhaus“, traf Magdanz im Februar 2004 erstmals die BND-Verantwortlichen, um mit ihnen über sein Projekt zu sprechen. Und hier zeigte er ihnen neben seinen anderen Arbeiten auch das kleine Fotobuch „Auschwitz-Birkenau“. Diese Fotos hatte Magdanz in dem ehemaligen Vernichtungslager für den Kinofilm „Birkenau und Rosenfeld“ gemacht. Regie führte Marceline Loridan-Ivens, Anouk Aimée spielt darin die autobiografisch angelegte Figur der Miriam, eine Überlebende des Lagers und eigentlich die Loridan-Ivens. Miriam besucht im Film das ehemalige Vernichtungslager und trifft dort auf einen deutschen Fotografen. Dessen, im Film gezeigten Bilder, nahm Magdanz nach einem Treffen mit Loridan-Ivens in Auschwitz auf. „Als ich das Buch auf den Tisch legte, habe ich gedacht, hier schließt sich irgendwo ein Kreis der Geschichte. In diesen relativ unveränderten Räumen zu sitzen, mit der Überlegung, siebzig Jahre vorher saßen in diesem Raum ganz andere Leute...,“ sagt der 43-Jährige. In diesem Haus nutzte er während seiner späteren Arbeit ein eigenes Büro.

Magdanz dokumentierte schon andere Orte, deren Untergang beziehungsweise Umwandlung bevor stand. Er widmete sich dem die Natur und Ortschaften verschlingenden Braunkohletagebau Garzweiler und dokumentierte mit seiner Arbeit über die „Dienststelle Marienthal“ den Wahnwitz atomarer Kriegplanungen. Die unterirdische Bunkeranlage im Ahrtal, 25 Kilometer südlich der alten Hauptstadt Bonn mitten im Schiefergestein gelegen, war der „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“. Auch das eine sensible Örtlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, denn im Fall eines atomaren Angriffs sollte die Bundesregierung hier Schutz finden und weiter regieren.

Was auffällt an den Bildern aus Marienthal und denen vom BND, ist – auch wenn es Magdanz nicht gefällt – ein hohes Maß an Klischees. Ein Geheimdienst ist eben ein Geheimdienst. Und die Einrichtungsgegenstände sind oft noch jene aus Zeiten, als der Kalte Krieg ein brandheißer zu werden drohte. Zumindest in der für das neue Buch getroffenen Auswahl scheint das modernste beim BND das Lage- und Informationszentrum sowie der Leitstand Rechenzentrum. Nach alldem, was man gesehen hat, will der Betrachter es kaum für möglich halten. Aber der BND benutzt tatsächlich auch Flachbildschirme.

Magdanz sagt, er habe arbeiten können, wie er wollte. „Es gab, abgesehen von der ständigen Begleitung bei meiner Arbeit durch einen Sicherheitsbediensteten, keinerlei Einschränkungen. Es gab keinerlei Beeinflussung meiner Arbeit.“ Wahrscheinlich ist es genau das, was das Buch so wertvoll macht. Zu den verblüffendsten Motiven gehört nämlich das „Waldhaus“, die Schocktherapie für angehende Geheimdienstler. Denn im Inneren der trist wirkenden Baracke trifft der Betrachter auf einen Art Kinosaal, mit Klappsesseln aus Holz, stecken geblieben in den 1960er Jahren. Der Saal diente dem BND bis 1995 noch als Ausbildungszentrum.

Kommt man sich angesichts von Skandalen und Umzugsplänen nicht instrumentalisiert vor in einer Behörde, die Informationen beschafft und Desinformationen streut? „Meine Überlegung zuvor war, dass ich den Umzug nach Berlin beeinflussen könnte, weil das Gelände jetzt en detail gezeigt wird. Da sind natürlich viele Stufen der Geheimhaltung gebrochen worden,“ sagt Magdanz. „Aber es gab niemanden, der mir hineingeredet hat. Ich habe immer gesagt, zeigt mir alles, was wichtig ist, aber ich will keine wirklichen Geheimnisse mitbekommen. Ich wollte verhindern, dass andere Geheimdienste an mich herantreten und sagen: Erzählen Sie doch mal!“ Aber fast so, als wolle er der eigenen Unlust am Klischee widersprechen, ergänzt er, dass ihn kürzlich eine ominöse E-Mail erreicht habe. Mittels ihr habe offenbar jemand unter Vortäuschung falscher Angaben Kontakt zu ihm gesucht. [© Michael Klarmann; für AN (Seite 3)]

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