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BND-Bildband

Bayerischer Beamten-Bond

Von Ralf Hanselle

Seit rund fünf Dekaden ist der kleine Münchner Vorort Pullach ein geheimnisumwitterter weißer Fleck auf der Landkarte. In einem Bildband entlarvt der Fotograf Andreas Magdanz den Sitz des Bundenachrichtendienstes als gewöhnliche Beamtenkaserne.

Die Welt in Pullach ist schwarzweiß. Seit dem 6. Dezember 1947, dem Tag, an dem der BND-Vorgängerdienst, die Organisation Gehlen, nördlich des Starnberger Sees eine neue Front im Kalten Krieg eröffnete, hat man in Pullach auf ein eindeutiges Feindbild gesetzt. Camp Nikolaus, so hatten die Geheimdienstler um Alt-Nazi Reinhard Gehlen ihr von einer vier Kilometer langen Mauer eingefasstes Gelände genannt. Bis heute erstreckt sich dieses Camp als Hauptsitz des Bundesnachrichtendienstes über Liegenschaften der einstigen "Reichssiedlung Rudolf Heß" und dem im Zweiten Weltkrieg errichtetem "Führerhauptquartier Siegfried".

In Pullach gibt man sich traditionell verschwiegen. Verschanzt hinter hohen Stahltoren und grauen Mauern hat sich der BND seit Jahrzehnten im toten Winkel öffentlicher Wahrnehmung eingerichtet. Gerüchte hat es immer gegeben. Mal sagte man dem deutschen Auslandsgeheimdienst eine Beteiligung am Tod Uwe Barschels nach, mal ging es um die Verwicklungen in die Plutoniumaffäre "Operation Hades": Die Männer und Frauen, die sich ganz dem Sammeln von Informationen verschrieben haben, sind stets wortkarg gewesen, wenn es um Selbstauskünfte ging. Statt Transparenz und Offenheit nahm man in der Pullacher Abgeschiedenheit notfalls immer schon Legendenbildungen und Verschwörungstheorien in Kauf. Selbst im aktuellen Skandal um die Bespitzelung zahlreicher Journalisten gibt der BND nicht mehr Preis als unbedingt nötig.

Für sein einmaliges Buchprojekt aber hebt sich ein Stück des undurchsichtigen Schleiers. Zu verdanken ist dies dem Aachener Fotografen Andreas Magdanz. Der nämlich hat nach längeren Vorverhandlungen beinahe ein halbes Jahr lang auf dem Gelände des BNDs fotografieren dürfen. Ganz in der Tradition topografischer Fotografie à la Becher, Höfer oder Gursky hat der 1963 geborene Magdanz auf großformatigen Schwarzweißbildern freigelegt, was zuvor nur als Schimäre in der öffentlichen Phantasie herumspukte.

Im Takt von Brotzeit und Feierabend

Wie in Alices legendärer Reise hinter den Spiegel entblättert der Fotograf bei seiner Pullacher Ortsbegehung mit jedem Bild ein Teil des Geheimnisses. Hinter diesem hatten nicht nur Weltverschwörer schon immer einen Metatext der Wirklichkeit vermutet. Wann immer ein politischer Skandal ruchbar wurde oder eine kleine historische Schweinerei auf die Tagesordnung kam: Schnell sahen Teile der Öffentlichkeit deutsche wie internationale Dienste im Hintergrund werkeln.

Bei Magdanz wird diese Hintergrundfolie nun Vordergrund. Doch statt der vermuteten Taschenspielertricks eines ausgebufften Weltgeistes blickt man in gähnende Leere. Pullach, mit dem trägen Blick des Andreas Magdanz gesehen, versprüht den Esprit einer gewaltigen Behörde. Überall blickt man leere weiße Flure hinunter, gafft durch kahle Treppenaufgänge, schaut hinter die Kulissen fader Funktionsbauten. So sieht nicht die Behausung von Top-Spionen aus. Zwar zeigen einige Einzelaufnahmen isolierte Revolver und Gewehre, versteckte Kameras und frisierte Handtaschen. Aber letztlich wird man sich des Eindrucks nicht erwehren können: In Pullach sagt man nicht "niemals nie". In Pullach herrscht der Takt von Brotzeit und Feierabend.

Die Architektur, das Interieur und selbst der Fußboden zeigen: Dies ist nicht die Spielwiese eines 007, sondern allenfalls die staubtrockene Kulisse für einen bayerischen Beamten-Bond. In der Nachbarschaft der Agentenkaserne hieß es daher Jahre lang, auf dem Gelände sei ein Teil der Bundesvermögensverwaltung, Abteilung Sondervermögen untergebracht. Andere vermuteten hinter den Mauern Gärtner oder Bienenzüchter.

Gefahr liegt in der Luft

Anders jedoch Andreas Magdanz. Für ihn verbirgt sich hinter den grauen Sichtblenden kaum mehr als nichts. Seine Fotografien sind menschenleer. Die Ent- und Decodierer der weltpolitischen Ränkespiele haben von sich selbst kaum Spuren hinterlassen. Selbst die einzelnen Gebäudekomplexe - zahlreiche einstöckige Baracken, moderne Verwaltungsgebäude und ein altes Herrenhaus - weisen keine besondere Kennzeichen auf. Sie tragen zumeist amtliche Bezeichnungen wie E1, U2 und LIZ. Ihre schneidigen Flure und geraden Fluchten senden eine informative Nullinie aus. Auf den 68.000 Quadratmetern der Anlage hat der Funktionalismus über die Information gesiegt.

So scheint die Fama von den großen Verschwörungen schlicht zu verpuffen. Wenn die Welt wirklich ein Text sein sollte, dann verwaltet man in Pullach nicht seine geheimen Regieanweisungen, sondern allenfalls seine weiße Seiten. Im innersten Heiligtum der deutschen Auslandsschnüffler lüftet Magdanz kein Mysterium und offenbart keine Botschaft.

Vielmehr scheint es andersherum zu sein: Das eigentliche Geheimnis ist Pullach selbst. Verbarrikadiert hinter einer Wagenburgmentalität inszenieren unzählige Brieföffner und Computerhacker seit Jahrzehnten ein Agententum, das einer postmodernen Bruderschaft nachgebildet ist. "Ich kann es gar nicht genau in Worte fassen", sagt Magdanz rückblickend, "aber selten habe ich einen Ort betreten, an dem soviel konzentrierte Macht und Gefahr in der Luft lag". Sechs Monate lang hat sich der Fotograf für dieses Projekt einer Überprüfung unterziehen müssen: Sein Freundeskreis wurde durchleuchtet, zuweilen tauchten sogar unangemeldete Besucher vor seinem damaligen Wohnsitz in der Eifel auf. Magdanz hat das hingenommen. Er wusste, dass der Blick hinter das Geheimnis von Pullach für alle Beteiligte ein Risiko war.

Deckname "Gladiator"

Im August 2005 war es soweit; der erste Zutritt. In der Regel folgt dieser einem fast schon religiösen Ritus. Wie in einem Orden oder einer Sektenzentrale tauschen die Mitarbeiter und Informanten des Nachrichtendienstes am Eingang ihre bürgerliche Identität gegen einen Decknamen ein. So war es auch bei den jetzt bekannt gewordenen Fällen über die Bespitzelung von Journalisten. Der so genannte Schäfer- Bericht listet gleich fünf Deckidentitäten von Spitzeln im journalistischen Gewerbe auf. Sie tragen so klingende Namen wie "Schweiger", "Sommer" oder "Gladiator". Auch Andreas Magdanz ist während seiner Arbeit auf dem Gelände in Pullach nie ein einziger BND-Mitarbeiter mit Klarnamen vorgestellt worden.

Diese anonymen Schnüffler sind die Schriftgelehrten der Gegenwart. In Pullach versuchen sie die Codes einer feindlich gesonnenen Welt zu knacken. Ihre gleichförmigen Beamtenkasernen konservieren den Glauben an eine entschlüsselbare Wirklichkeit. Ihre heiligen Texte aber, ihre Offenbarungen und Credos bleiben unauffindbar. Nur einmal, im sogenannten Bücherturm, einer achtstöckigen Bibliothek am nördlichen Rand des Geländes, wird Magdanz' Kamera fündig: Hier werden täglich über hundert Tageszeitungen aus aller Welt konserviert. Das Foto zeigt eine Regalwand mit abgehefteten Nummern des Magazins DER SPIEGEL. Plötzlich beschleicht es den Betrachter unangenehm. Sollte das der Grund dafür sein, dass der BND über Jahre Journalisten ausspioniert hat? Wissen die Agenten kaum mehr, als das, was täglich in der Zeitung steht? Die Fotografien von Andreas Magdanz jedenfalls entlarven den Mythos Geheimdienst als eine große Blase. Sein innerstes Wesen ist der Tanz um ein gewaltiges Vakuum.

Andreas Magdanz: BND - Standort Pullach. Dumont Verlag 2006. 192 S. mit ca. 100 Abb. 55,00 Euro.

Spiegel-Online, 18.07.2006

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